Corporate Activism
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Mehr erfahrenDie ESG-Kriterien der Finanzmärkte lassen sich als Eigenschaften lesen, die dem „guten“ Unternehmen zugeschrieben werden. Diese Eigenschaften zergliedern sich in die Teilbereiche Environment (z.B. ein niedriger CO-2-Ausstoß), Social Responsibility (z.B. keine Diskriminierung von Minderheiten) und Governance (z.B. eine möglichst hohe Compliance mit Recht und Moral). In den ESG-Kriterien werden die Anforderungen sozialer bzw. ökologischer Verantwortung sowie Governance, Risk und Compliance zusammengeführt.
Es ist kein Wunder, dass die Finanzindustrie diese Wertmaßstäbe guter unternehmerischer Tätigkeit – durchaus auch aus Überzeugung – mit den ESG-Kriterien zusammengeführt hat: So lassen sich Unternehmen viel besser standardisiert erfassen und folglich vergleichbar bewerten. Auf der Basis solcher Bewertungen lassen sich Ratings erarbeiten und sogar Investmentprodukte schnüren, die definierten ethischen Anforderungen gerecht zu werden versprechen.
Die Wirkung der ESG-Kriterien reicht jedoch über den Finanzmarkt hinaus: einesteils, weil die einzelnen Wertmaßstäbe in der Debatte um gute Unternehmensführung ohnehin genannt werden (egal ob diese nun als „ESG“ etikettiert werden oder nicht), andernteils weil die Regulierung der EU die Finanzindustrie zwingt, zu ESG-Kriterien in Werbung und Beratungsgesprächen Stellung zu beziehen. Letzteres wird zum Beispiel mit der Offenlegungsverordnung der EU erreicht, die seit 10. März 2021 gültig ist.
Damit also ist ESG faktisch die Abkürzung für ein Bündel von ethisch gewünschten Eigenschaften von Unternehmen. Auch wenn Stakeholder es (noch) nicht ESG nennen: was sie häufig wollen ist ESG-konformes Unternehmertum.
Die Erfassung von ESG-Kriterien kennt viele Probleme. Einige davon werden als „technische“ Herausforderungen abgetan. Tatsächlich jedoch liegen viele Probleme tiefer. Der vermeintliche Konsens guter Unternehmerschaft ist allenfalls ein brüchiger. Die wesentlichen Probleme sind die folgenden:
Diese Probleme zeigen, dass moralische Urteile in der Regel komplexe Abwägungsprozesse erfordern. Eine „ESG-Checkboxethik“ kann es darum nicht geben. Ein Formular ausfüllen, die Checklisten runterrasseln und fertig – so funktioniert Ethik nicht. Moralische Urteile lassen sich schwer an Algorithmen, automatisierte Messungen und standardisierte Auswertungen delegieren. Das gilt für das autonome Fahren ebenso wie für die Beurteilung von Unternehmen. Hier sind Argumentationen gefordert, die Wertmaßstäbe herleiten und zugleich ein realistisches Bild vom Menschen und der unternehmerischen Praxis haben.
Unternehmen sollten sich keine Kriterien von Finanzmärkten oder Gesetzgebern diktieren lassen. Auch wenn sie durch gesetzliche Anforderungen gezwungen sind, Berichte zu verfassen und Stellung zu beziehen: Das muss nicht bedeuten, dass Unternehmen nicht auch zu eigenen Urteilen über das fähig sind, was sie da berichten. Da Unternehmen die Experten für ihre Produkte, Zulieferketten und Kunden sind, ist es sogar wünschenswert, wenn sie sich in den demokratischen Diskurs miteinbringen. Wenn ethische Dilemmata bestehen oder Unternehmen ein schlechtes Rating für unsinnig erachteten, dürfen, können und sollen sie mitdiskutieren. Auch Unternehmen, Management sowie Mitarbeiter sind Bürger. Was es braucht ist deren Stimme – eine Art Corporate Citizenship 2.0. In einer freiheitlichen Gesellschaft muss die politische Führung weder den Politikern noch sozialen Bewegungen überlassen werden.
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