Wie die Corporate Sustainability Story in der polarisierten Öffentlichkeit überzeugt

Nachhaltigkeitskommunikation ist ein Megatrend der Unternehmenskommunikation. Er wird aktuell durch Regulierungsinitiativen der EU (ESG-Taxonomie, Offenlegungsverordnung, CSR-Richtlinie) und die Vorhaben der Bundesregierung (Lieferkettengesetz, Verbandssanktionsgesetz) getrieben. Auch die politische Polarisierung sowie die Moralisierung von Lebens- und Unternehmerstilen ist dabei, sich als Trend der Öffentlichkeit zu verfestigen: Vieles, was früher als privat galt, wird heute genau beobachtet, ins Rampenlicht gerückt und auf kleinste Mängel hin untersucht. Gern wird nicht nur beurteilt, sondern auch verurteilt. In der Folge kann sich der Unternehmer bei vielen Themen nicht mehr wegducken. Wer nur hochglänzende Broschüren und animierte Web Sites liefert, zieht das Misstrauen der Stakeholder auf sich. Das führt nicht nur zu Problemen mit Regulatoren und potentiellen Kunden, sondern zunehmend auch mit Zulieferern und v.a. jungen, ethisch motivierten und darum auf andere Art erfolgshungrigen Arbeitnehmern. Das alles gilt in Zeiten von Fridays for Future besonders für Umweltaspekte, Ökologie und Nachhaltigkeit.

Unternehmen sind gefordert, solche Aspekte gezielt anzusprechen. Neuerdings geht es um einen Wettbewerb um ein möglichst hohes Ansehen in Nachhaltigkeitsthemen.

Aus der Praxis der Nachhaltigkeits- und Unternehmenskommunikation lassen sich sieben zentrale Regeln ableiten, deren Befolgung die Reputation stärkt. Sie machen deutlich, wie groß die Aufgabe für Unternehmer ist – aber auch, dass die Ressourcen für eine gelungene Transformation in die „grüne Moderne“ im Unternehmen liegen:

Nachhaltigkeitskommunikation braucht Authentizität!

Kommunikation ist kein Potemkin’sches Dorf. Das gilt besonders für die Nachhaltigkeitskommunikation. Was immer die ‚Sustainability Story‘ ist, diese muss vom Unternehmer und seinen Mitarbeitern geglaubt und vertreten werden, ja diese muss innerlich angegangen werden. Ein hochpolierter CSR- und Nachhaltigkeitsbericht, in dem eine Reihe von Kompensationsprojekten präsentiert werden, wird als das wahrgenommen, was er ist: eine Verlegenheitslösung. Wer dagegen zeigt, wie und wo operative Prozesse optimiert, Risiken vermindert und Nachhaltigkeit als langfristiges Ziel der Geschäftsentwicklung einen festen Platz hat, liefert eine realistische und damit glaubwürdige Erzählung. Das gilt besonders auch für die klassischen Industrien, die entstanden sind, bevor die Nachhaltigkeitsdebatte in den 1970er Jahren einen festen Platz im Diskursgefüge des Westens bekam.

Nachhaltigkeitskommunikation braucht Werte statt (nur) Wesentlichkeitsanalysen!

So richtig Wesentlichkeitsanalysen sind: Was wesentlich ist, bestimmten nicht nur sie. Wesentlichkeitsanalysen zeigen auf, welche nachhaltigkeitsrelevanten Prozesse im internen und externen Umfeld des Unternehmens bestehen. Außerdem klären sie, welche Erwartungen die Stakeholder an das Unternehmen, seine Produkte und Leistungen haben. Dies zu erfassen ist selbstverständlich nicht falsch. Aber es reicht nicht. Wesentlich ist in erster Linie das, was der Unternehmer für wesentlich hält: Im Zentrum sollten seine Werte stehen. Nachhaltigkeitsrelevante Werte zu finden, ist bei kaum einem Unternehmer ein Problem. Wir wissen heute aus der Evolutionären Psychologie, dass ökologische Nachhaltigkeit tief verwurzelt ist in der menschlichen und kulturellen Naturästhetik. Außerdem: Intergenerationelle Stabilität ist ein Wert, der uns in die Wiege gelegt ist. Er wird in allen Kulturen hochgehalten. Darum: Die Werte und Sinnressourcen einer Unternehmerpersönlichkeit gilt es zu entdecken und in ihrer geschichtlich-biographischen Einbettung zu beschreiben. Daraus entstehen oft äußerst tragfähige Grundlagen von Leadership..

Eine glaubwürdige Nachhaltigkeitskommunikation muss Perfektionsansprüche zurückweisen!

Vor den moralisierenden Ansprüchen vieler Zeitgenossen zu kapitulieren und sich erst in die Arena zu trauen, wenn perfekte Nachhaltigkeit erreicht ist, kann nicht funktionieren. So machen sich Unternehmen zum Angeklagten eines äußeren Richters, der jede Verletzung des Ideals erbarmungslos quittiert. Das Gegenteil ist typisch für die Kultur des Westens! Diese ist tief geprägt von unser aller Fehlbarkeit. Statt also die Abweichung vom Ideal zu verschleiern, muss der Mangel an Perfektion offensiv benannt werden. Die europäisch-christlich-jüdische Kultur hat stets goutiert, wenn sich die fehlbaren Menschen überhaupt auf den Weg machen, ihre Ideale zu erreichen. Viele geben diese Einstellung – zu Recht – an ihre Kinder weiter. Sodann zählt stets die zurückgelegte Wegstrecke. Und erst danach ging es um die verbleibende Lücke zum „Himmelreich auf Erden“ – das zu erreichen stets Utopie blieb. Tatsächlich gibt es wenig Gründe, bei der ökologischen Nachhaltigkeit anderes anzunehmen. Auch hier und heute gilt: Ideale sind dazu da, eine „Vertikalspannung“ (Peter Sloterdijk) zu erzeugen, welche die Helden aufrichtet – Ideale sollen nicht demoralisieren oder zu Abwertung und Ausgrenzung herangezogen werden.

Glaubwürdige Nachhaltigkeitskommunikation betont den Experimentcharakter!

Ökologie ist eine hochkomplexe Disziplin – weil kaum jemand die verstrickten kausalen Gefüge überblickt. Es ist ein Grundfehler vieler Nachhaltigkeitsapostel, dass sie genau zu wissen meinen, was zu tun sei. Unvorhergesehene Dilemmata (z.B. beim Biotreibstoff jenes zwischen Tank und Teller oder bei Importen die Verlagerungseffekte von Energiebedarfen und Emissionen) treffen diese Apostel in ihrer Glaubwürdigkeit. Zu Recht: Der hochmütige Moralisierer sind kein positiv besetzter Archetyp. Darum muss die eigene Sustainability Story offen zu den Unwägbarkeiten und Risiken stehen, die im Zusammenhang mit einer Transformation des Unternehmens zu mehr Nachhaltigkeit bestehen. Tatsächlich hat beim Thema Nachhaltigkeit niemand einen erfolgsverbürgenden Masterplan. Mit der Tonalität der Vorsicht fällt es leichter, Fehler offen zu benennen, Sackgassen zu verlassen und neue Wege zu einzuschlagen. Bei der Nachhaltigkeit müssen sich Unternehmer offensiv dem Leitgedanken von Thomas Elva Edisons Experimentieren verpflichten: „I failed my way to the top.”

Nachhaltigkeitskommunikation muss den Unternehmer als Nachhaltigkeits-Entrepreneur in Szene setzen!

Unternehmer sollten sich kein vorgefertigtes Nachhaltigkeitsverständnis von irgendwelchen Autoritäten aufzwingen lassen. Es ist mehr oder weniger umstritten, wie ökologische Nachhaltigkeit erreicht werden kann – jedenfalls, wenn mehr betrachtet wird als der unmittelbar vor Augen stehende Prozess. Mit der Ökoeffizienz, der Ökoeffektivität und der Suffizienz stehen drei grundlegende Nachhaltigkeitsprinzipien zur Auswahl. Welcher man zuneigt, hängt nicht selten von mehr oder weniger beliebigen Annahmen ab. Außerdem ist umstritten, ob und wie sehr andere Werte (ökonomische Rentabilität, soziale Verantwortung, Good Corporate Governance) hierzu in Konkurrenz stehen. Im übrigen ist unklar, ob Nachhaltigkeit zuerst von der Politik, technischen Innovationen oder Lebensstilen her zu denken ist. Neuerdings diktieren Finanzmärkte und die EU über die ‚ESG-Kriterien‘ (Environment, Social Responsibility, Governance), was Nachhaltigkeit sein soll, ja sogar was das „gute“ Unternehmen ausmacht. So richtig dies im Detail immer wieder ist, so wenig überzeugt der Gesamtansatz – wenn man ihn 1:1 umsetzen möchte. Vielmehr gilt: Wege in eine „grüne Moderne“ brauchen den Unternehmer als wertgetriebenen, jedoch risikobewussten sowie risikotragenden Change Agent. In Umkehrung eines Bonmots von Paul Valery ist nämlich nicht nur das Schlimmste, sondern auch das Beste nicht immer gewiss. Unternehmen können und dürfen darum eigene Wege gehen. Gute Nachhaltigkeitskommunikation betont dies, erklärt es und bettet es in authentische Geschichten vom Probieren, Wandeln und produktiven Scheitern ein.

Eine gelungene Nachhaltigkeitskommunikation folgt darum der Leitidee von Sustainable Corporate Citizenship!

Historisch betrachtet ist die Politik die Nachhut der Gesellschaft. So war es bei allen sozialen Bewegungen, die unsere moderne Gesellschaft geprägt haben: bei der Einführung von Demokratie, Sozialsystemen und Bürgerrechten sowie bei der Frauenemanzipation. Ab und an gab es allenfalls ein paar kluge Führungspersönlichkeiten, die den Druck der Straße vorwegnahmen. Aber auch sie hätten ohne die drohende Revolution der Massen wohl weit weniger reformiert. Dabei wird oft vergessen; Unternehmer sind Teil dieser sozialen Bewegungen gewesen – und darum waren auch sie der Politik in der Regel voraus. Sie experimentierten mit innerbetrieblicher Demokratie vor der gesetzlichen Einführung von Betriebsräten, sie führten soziale Sicherungsmechanismen vor der Einführung der gesetzlichen Versicherungspflicht ein, und sie beschäftigten Marginalisierte, bevor diese gesellschaftliche anerkannt wurden. Heute setzen Unternehmen Compliance- und Nachhaltigkeitskulturen ins Werk, bevor EU und Bundesregierung die Regulierung hierfür schaffen. In Wahrheit lernt die Politik nicht zuletzt von der Best Practice voranschreitender Unternehmer. Deutlich wird: Immer wieder haben sich Unternehmer als Bürger ersten Ranges verstanden. Sie haben mit ihren Visionen Gesellschaft geprägt und Beispiel gegeben. Das heute gehypte „Social Entrepreneurship“ ist in Wahrheit keine Alternative zum klassischen Unternehmertum, sondern einer seiner immer schon gehegten Bestandteile.

Nachhaltigkeitskommunikation schließt an die Historie des Unternehmens an und meidet dabei auch keine „schwierigen“ Plots!

Gerade weil Transformation zur Nachhaltigkeit ein offenes, risikoreiches, von unerwarteten Wendungen, ja gar von Einsichten durchzogener Prozess ist, eignet es sich wie kaum ein weiteres Kommunikationsfeld für das Erzählen von Geschichten, die in der Historie des Unternehmens verwurzelt sind. Dies können und müssen keineswegs Geschichten sein, bei denen der „Held“ von Beginn an auf dem rechten Weg ist. Solche Geschichten sind nicht nur langweilig, sondern – im wahrsten Sinne – unmenschlich und darum auch langweilig. Vielmehr sind gelungene Geschichten immer auch Bekehrungs-, Erweckungsgeschichten und Geschichten der Umkehr sein: „Früher dachten wir so darüber nach, doch dann haben wir verstanden, dass wir es eigentlich anders sehen müssen…“ Ebenso können es Geschichten von Menschen sein, die „auszogen, um das Fürchten zu lernen“: „Wir waren uns sicher, es würde so gehen, aber dann merkten wir, dass wir nicht vorankamen, wir uns sogar vom Ziel entfernten. Darum haben wir es einmal anders probiert…“ – Die Erzählungen über eine Transformation hin zu mehr Nachhaltigkeit können nicht zudem selten ohne Brüche und Rückschläge erzählt werden. Abenteuergeschichten haben eben nun einmal einen Punkt der Verzweiflung und der Tränen. Es ist absurd, sie am Whiteboard im luftleeren Raum ersinnen zu wollen. Vielmehr: Wie es tatsächlich war, die Realgeschichte eines Unternehmens, ist ein unbezahlbares Stoff- und Materialreservoir für die authentische Nachhaltigkeitskommunikation. Umgekehrt gilt: Wenn die Sustainability Story unverbrüchlich scheint, ist es meist eine stark stilisierte, nachgerade unaufrichtige Geschichte.

Unternehmen sollten die Führung der Gesellschaft nicht allein den Politikern überlassen

In der Nachhaltigkeitskommunikation können sich Unternehmen leicht verzetteln. Oft fehlt der Mut, die Konflikte um die Transformation zur Nachhaltigkeit zu erfassen und zu ihnen zu stehen. Eine Gesellschaft, die zunehmend mit dem Finger auf Probleme zeigt und diese zu moralischen Verfehlungen erhebt, macht dieses kaschierende Kommunikationsverhalten verständlich. Hinzu treten die inneren Spannungen und Konflikte in den Unternehmerpersönlichkeiten – von den historischen Wegen eines Unternehmens und womöglich sogar seiner Identität ganz zu schweigen. Darum gilt: Wer unvorsichtig, schnell und allzu gefällig kommuniziert, bereitet großen Reputationsrisiken den Boden. Mit den vorgestellten Leitgedanken entstehen Corporate Sustainability Stories, die ehrlich, interpretationsoffen, anpassungsfähig, zugleich jedoch wertegeleitet und damit nicht beliebig sind. Das wirkt nicht nur attraktiv auf viele Stakeholder, sondern leistet auch ein Beitrag zur kommunikativen Führung unserer Gesellschaft. Gerade diese sollten Unternehmer der Stunde nicht den Politikern überlassen.

Unsere Autoren

Dr. Erik Fritzsche

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